Definition

Textlinguistik ist eine Mitte der 60er Jahre entstandene Teildisziplin der modernen Sprachwissenschaft, deren Untersuchungsobjekte Texte sind.

Kommentare

Bevor sich die Textlinguistik als neuer Zweig der Linguistik etablierte, wurden textuelle Phänomene in der Stilistik, in der Rhetorik, aber auch in der Literaturwissenschaft untersucht. Als Vorläufer der Textlinguistik sind auch die Tagmemik (Pike 1967) und die Textanalyse von Harris (1976 (1952)) anzusehen.

Seit den 60er Jahren hat sich die Textlinguistik nicht nur zu einer relativ selbstständigen Teildisziplin entwickelt, sondern auch zu einem interdisziplinären Forschungsfeld ausgeweitet, in das handlungstheoretische und kognitionswissenschaftliche Untersuchungsergebnisse integriert wurden, um nicht nur Erkenntnisse über das Produkt Text, sondern auch über Prozesse der Textproduktion und der rezeptiven Textverarbeitung gewinnen zu können. Dabei haben sich die Möglichkeiten, textlinguistische Forschungsergebnisse auch in anderen Disziplinen (z. B. Sprachdidaktik, Fachsprachenlinguistik) zu nutzen, beträchtlich vergrößert.

Der Begriff Textlinguistik bezeichnet nicht eine in sich geschlossene Theorie, sondern erfasst die Gesamtheit der sprachwissenschaftlichen Untersuchungen, die Texte betreffen.

Zur Textlinguistik rechnet man gewöhnlich jede sprachwissenschaftliche Forschung, die vom Text  
       (in mündlicher und schriftlicher Form oder Konzipierung) als Grundeinheit menschlicher Sprache 
       ausgeht oder die zumindest die Satzgrammatik so weit überschreitet, dass sie Satzsequenzen oder 
       noch größere Textstücke als Einheiten sui generis behandelt (Dressler 1978: 1 f).
       
Die Textlinguistik sieht es als ihre Aufgabe an, die allgemeinen Bedingungen und Regeln der 
       Textkonstitution, die den konkreten Texten zugrunde liegen, systematisch zu beschreiben und ihre 
       Bedeutung für die Textrezeption zu erklären (Brinker 1992 (1985): 8).
       

In der Entwicklung der Textlinguistik verlagerten sich die Schwerpunkte der Forschung von der Satzgrammatik aus über Untersuchungen satzgrenzenüberschreitender grammatischer Phänomene zur Analyse globaler Textstrukturen; textpragmatische Aspekte und Probleme der Wissensverarbeitung gewannen an Bedeutung. Um Merkmale der Textualität, um Textstrukturen und Themenentwicklungen in Texten zu beschreiben und zu erklären, wurden unterschiedliche theoretische Modelle entworfen und verschiedenartige Methoden der Textanalyse entwickelt.

Im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen auch bei ganz verschiedenen Forschungsschwerpunkten außer dem Text selbst Textkohärenz und Textsorten; am unterschiedlichen Verständnis dieser textlinguistischen Termini wird die jeweilige Dominanz bestimmter Richtungen in einzelnen Entwicklungsphasen deutlich.

Historische Entwicklung

Durch Versuche, Satzgrammatiken (besonders die GTG) auf Satzsequenzen auszuweiten, gelangte man zunächst zu einer Grammatik benachbarter Sätze. Die in dieser Phase dominierenden transphrastischen Untersuchungen wurden ergänzt durch Überlegungen zur thematischen Progression als Ausweitung der Funktionalen Satzperspektive vom Satz auf Satzsequenzen (Daneš 1978 (1970)). Weinrich wies die textuell bedingte Artikelselektion (Weinrich 1969) und die textuelle Determiniertheit des Tempusgebrauchs nach (Weinrich 1970).

Brinker integriert unterschiedliche Forschungsansätze, indem er den Kohärenzbegriff grammatisch, thematisch und pragmatisch expliziert, nicht in alternativen, sondern in komplementären Explikationen, bei denen er der Textpragmatik eine dominierende Rolle zuspricht (Brinker 1979: 7). Das Textthema, das Brinker als Kern des Textinhalts auffasst, wird von ihm als spezifisch textlinguistisch eingeschätzt (9). Untersuchungen des Textthemas bilden einen Schwerpunkt textlinguistischer Forschung bei Agricola (1979) und Brinker (1992 (1985)).

Brinker entwickelt Kriterien zur Abgrenzung des Hauptthemas von Nebenthemen des Textes (52 ff) und beschreibt unterschiedliche Möglichkeiten der Themenentfaltung (56 ff). Bei der Differenzierung von Textsorten geht van Dijk von Superstrukturen aus und ordnet ihnen bestimmte semantische Makrostrukturen zu (van Dijk 1980: 128 ff). Brinker schlägt eine Hierarchisierung der Kriterien zur Textsortenklassifizierung vor (Brinker 1992 (1985): 132 ff), wobei er die Textfunktion als Basiskriterium wählt (125 ff).

Zunehmend wird versucht, textgrammatische und textpragmatische Untersuchungen zu integrieren. In ihrem prozeduralen Ansatz beziehen Beaugrande & Dressler (1981: 32 ff) textpragmatische und textstrukturelle Gesichtspunkte aufeinander und erklären Textualität als abhängig von textzentrierten und verwenderzentrierten Kriterien (8). Brinker weist auf den Zusammenhang von Textfunktion und Textstruktur hin (Brinker 1992 (1985): 113).

Es war allerdings umstritten, ob die Integration von Vorwissen und Textinformationen in der Textverarbeitung als zentraler Untersuchungsgegenstand der Textlinguistik akzeptabel sei.

Brinker meinte, dass aktuelle mentale Abläufe weiterhin in der Psycholinguistik untersucht werden sollten, während es Aufgabe der Textlinguistik sei, wichtige systembedingte Voraussetzungen solcher Prozesse zu beschreiben (Brinker 1992: 9).

Heinemann und Viehweger integrieren in ihrem Modell die Theorien sprachlichen Handelns, der Grammatik und der Textkomposition (Heinemann & Viehweger 1991: 127 f) und gehen vom Vorwissen der Kommunikationspartner aus. Sie entwickeln eine Texttypologie als Mehrebenenmodell mit Funktionstypen in der obersten Hierarchieebene (147 ff).

Dass die Textlinguistik keine streng vereinheitlichte Disziplin mit wenigen dominanten Theorien und Forschungsmethoden sei, stellt auch van Dijk (in TEXT 10 (1/2)) fest. Es sei nicht zu leugnen, dass die vielen Richtungen in der Textlinguistik zu den überraschendsten und innovativsten Annäherungen an Sprache, Kommunikation, Kognition, Interaktion, Gesellschaft und Politik führten (van Dijk 1990: 3).

Entscheidend für die zukünftige Entwicklung der Textlinguistik sei, wie diese auf gesellschaftliche und öffentliche Interessen reagieren kann (227). Als Beispiel für Anwendungsbereiche textlinguistischer Untersuchungsergebnisse führt Tietz auch die Vermittlung von Fähigkeiten zum wissenschaftlichen Schreiben an (228 f).

Der gegenwärtige Stand der textlinguistischen Forschung wird in einem Handbuch zur Text- und Gesprächslinguistik durch Beiträge zu einzelnen Schwerpunkten referiert (Brinker & Antos & Heinemann & Sager 2000). Im Vorwort begründen die Herausgeber die inzwischen vorgenommene (theoretische und methodische) Abgrenzung der Gesprächs- von der Textlinguistik: Die Gesprächslinguistik befasse sich mit der Erforschung der mündlich konstituierten und interaktiv realisierten Kommunikation [. . .].

Die Textlinguistik konzentriere sich auf die von einer bestimmten Instanz (Einzelperson, Gruppe, Institution etc.) schriftlich konstituierten Texte.

Siehe auch

Text, Textualität, Texttheorie, rezeptive Textverarbeitung, Textproduktion, Textkohärenz, Textfunktion, Textthema, Wissensverarbeitung, Textkonstitution, textextern, verwenderzentriert, textintern, textzentriert, Textsorten, Texttypologie

Link

Literatur